Es ist still an diesem kalten Sonntagvormittag im Ilshofener Zentrum. Torturm, Roland-Wurmthaler-Halle und Gasthof Post sind von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. In der Kirche St. Petronella läuft gerade der Gottesdienst. Nur ein paar Schritte entfernt geht es jedoch alles andere als beschaulich zu. Am Haus Haller Straße 4, das die Krankengymnastik-Praxis von Henriette Bandtel beherbergt, führt eine Schräge hinab zu einem Seiteneingang.
Wer das alte Tor der früheren Tiefgarage öffnet, taucht ein in eine andere Welt. 20 Jugendliche und Erwachsene schlagen aufeinander oder auf Boxsäcke ein. Aus Lautsprechern hämmert „You can find me in the club“ von „50 Cent“. In den Beat der Rapmusik mischt sich ein pausenloses „tsch-tsch-tsch“ – der charakteristische Sound, den Boxhandschuhe beim Zuschlagen von sich geben. Obwohl es keine Heizung gibt und somit auch drinnen frostige Temperaturen herrschen, fließt bei den Boxern der Schweiß in Strömen. Immer wieder wird zwei bis drei Minuten am Stück Vollgas gegeben – bis in den tiefroten Bereich. In den kurzen Pausen ringen die Sportler nach Luft.
Zentrum des Raums ist ein improvisierter, selbst gebauter Boxring, der sich mit seiner Fläche von 3,8 mal 3,8 Metern exakt zwischen vier Betonpfeiler einfügt. Er besteht aus Europaletten, einer darauf befestigten großen Turnhallen-Matte, drei als Ringseile dienende Klettertaue und Polstern in den vier Ecken. Oben am Ring hängen Fähnchen verschiedener Nationen, die das Flair eines internationalen Turniers vermitteln. Der Rest des Raumes ist mit dünneren Matten ausgelegt. Von der Decke hängen acht an Metallketten befestigte Boxsäcke. Die weißen Wände zieren ein großes Werbebanner und ein altes Poster von „Gentleman“ Henry Maske aus der Bravo.
Physiotherapeutin ist Eigentümerin
Die Ilshofener Boxer haben sich ihr eigenes kleines Reich während der Corona-Hochphase in Eigenregie geschaffen. Seit es die gelockerten Kontaktbeschränkungen zulassen, wird zweimal pro Woche trainiert. Initiator ist Joschka Scheffelmeier, ein 37 Jahre alter Polizist aus Ilshofen, dessen Leidenschaft von Kindesbeinen an der Kampfsport ist. „Alles fing mit einem Boxkurs im Bürgerhaus Eckartshausen kurz vor Corona an – der war richtig gut besucht“, erinnert sich Scheffelmeier. Der Turnhallen-Charakter des Bürgerhauses schien jedoch als permanenter Trainingsstandort ungeeignet. „Man hätte dort den Ring ständig auf- und abbauen müssen. Außerdem wäre die hohe Decke zum Anbringen der Boxsäcke eher ungünstig gewesen.“
Durch Zufall stieß Scheffelmeier auf den Raum in der Haller Straße 4. „Ich war in der Physiotherapie-Praxis in Behandlung und habe Frau Bandtel gefragt, was sich da hinter der Tür am Seiteneingang verbirgt.“ Kurz darauf war sich der Boxtrainer mit der Physiotherapeutin und den Vereinsverantwortlichen Herbert Schürl und Dario Caeiro einig: Der TSV Ilshofen kann den leer stehenden Raum zu einem sehr günstigen Preis mieten und dort eine Boxgruppe ins Leben rufen. Es ist die derzeit einzige im Landkreis unter dem Dach eines Sportvereins.
„Das Haus gehörte früher der Baustoffhandlung von Berg, dem Vorgängerunternehmen der heutigen Jäger Baustoffe GmbH“, erinnert sich Vereinsvorsitzender Herbert Schürl. Der heutige Box-Raum habe einst als Zementlager gedient, später auch als Tiefgarage. „VW Käfer haben da sicher gut reingepasst. Für heutige Autos wäre wohl schon die Einfahrt zu eng“, sagt Scheffelmeier mit einem Lächeln. Als Umkleide dient übrigens ein Nebenraum, der beheizt werden kann. Duschmöglichkeiten sind dort ebenso vorhanden. Da noch Platz vorhanden ist, könnte die Fläche zum Kraftraum aufgewertet werden.
Power kommt aus Beinen und Hüfte
Das Training am Sonntagvormittag startet für jeden der rund 20 Sportler mit Seilspringen, dann geht es an die Boxsäcke. „Auf geht‘s! Ich will Geschwindigkeit sehen! Füße, Füße, Füße!“, fordert Scheffelmeier höchsten Einsatz. Die Beinarbeit und die effiziente Drehung der Hüfte sei beim Boxen entscheidend für die Schlaghärte, nicht etwa die Kraft in den Armen. Später üben die Boxer – passend nach Gewicht und Leistungsstärke – in Zweier-Teams Schlagkombinationen. „Führhand zum Kopf, dann die Schlaghand zum Körper. Schlagt so hart wie ihr wollt – wenn ihr das Echo vertragt. Ausatmen, wenn ihr getroffen werdet. Das nimmt dem Schlag die Wucht.“ Gegen Ende der knapp zweistündigen Trainingseinheit powern sich die Kämpfer vollends bei Kraftübungen wie Liegestütze, Kniebeugen oder Situps aus.
„Boxen ist weniger gefährlich als Fußball“, zitiert Scheffelmeier die frühere Weltmeisterin Regina Halmich. Voraussetzung sei natürlich, dass zunächst Schläge und Verteidigungstechniken intensiv geübt werden, Kondition aufgebaut wird und gesundheitliche Voraussetzungen gegeben sind. „Ich lasse niemanden ins Sparring, der dafür noch nicht bereit ist“, betont der Trainer. Mundschutz sei natürlich immer Pflicht.
Für die aktuell rund 20 Mitglieder der Ilshofener Boxgruppe steht zunächst der Spaß im Vordergrund. In Zukunft seien auch Sparringsveranstaltungen und Wettkämpfe denkbar, jedoch führe der Weg zum Leistungssport in Ilshofen zunächst über den Breiten- und Freizeitsport, betont der Trainer. Wer Interesse habe, könne gern beim Training vorbeischauen. Kapazität für 50 Boxer sei beim TSV Ilshofen durchaus vorhanden, schätzt Scheffelmeier. Dann müssten jedoch wohl die Trainingszeiten ausgeweitet werden. Auch die Gründung einer Kinder-Gruppe schwebt dem Trainer vor. Aus Zeitgründen sei dies momentan aber noch nicht möglich.
„Es ist ein tolles Hobby, bei dem man sich wunderbar austoben kann“, schwärmt die 13-jährige Felicitas Stocker. „Der Sport ist nicht nur gut für die Kondition, sondern auch fürs Selbstbewusstsein“, ergänzt Mareike Scheffelmeier. Ihr Mann weiß nicht zuletzt durch seinen Job als Polizist, dass Kampfsport mentale Stärke fördert und helfen kann, bei kritischen Situationen zu deeskalieren. „Wenn man weiß, dass man sich zur Not wehren kann, bleibt man ruhig und strahlt Autorität aus“, sagt Scheffelmeier. Wirke man hingegen nervös oder ängstlich, ermuntere man damit womöglich sein Gegenüber zum Zuschlagen.
@Quelle: https://www.swp.de/lokales/schwaebisch-hall/
Fotos: Gottfried Mahling